Die nestwärme Geschwisterzeit

Ich bin ein Geschwisterkind. Ein 0815 Geschwister sozusagen. Die kleine Schwester meines zweieinhalb Jahre älteren Bruders. Alles ganz gewöhnlich. Wir mochten uns immer. Okay, im Teeniealter gab es hier und da Kabbeleien, weil ich mir seinen als meinen Freundeskreis ausgesucht habe. Fies, aber so war es nunmal. Heute haben wir trotz relativ großer Entfernung einen guten Kontakt.
Das wird bei meinen Kindern nicht so sein können. Unsere große Tochter ist drei Jahre älter als Fine. Die beiden haben sich sehr lieb. Fine wird von ihrer großen Schwester bestmöglich in ihr Leben einbezogen und gerne umsorgt, wenn es gerade passt. Auch Zukunftspläne gibt es, doch sie sind anders als bei homogeneren Geschwisterpaaren.
So, wie das ganze Familienleben anders ist. Vieles bei uns ist auf Fine abgestimmt. Weil Fine-Angelegenheiten einfach meistens eine höhere Priorität haben. Das ist schon im normalen Alltag ohne größere Herausforderungen so. Medikamentengaben, Wickelmöglichkeiten, Arzttermine und Therapien sind nun mal bedeutender, als kurzfristige Wünsche oder Befindlichkeiten. Von epileptischen Anfällen, Infekten oder Krankenhausaufenthalten mal ganz abgesehen. Leider ist es häufig so, dass Geschwister von erkrankten oder stark eingeschränkten Kindern nur die zweite Geige spielen.
Wir haben das große Glück, dass wir sehr gut vernetzt sind und viele Helfer an unserer Seite haben. Sei es, dass Fine an fünf Nächten die Woche von PflegerInnen der Nestwärme gut umsorgt wird und wir daher immer ausgeschlafen sind und die großartige Schule, die Fine besuchen darf. Seien es die Großeltern, die im Notfall alle möglichen Fahrten für die große Schwester übernehmen können, so dass Hobbies und Freizeit nicht zu kurz kommen. Sogar auf größere Reisen dürfte Lotta schon mehrfach gehen.
Dennoch ist das Leben als Geschwisterkind nicht leicht. Das einfache Wissen, dass wir Familien mit einem Kind mit Behinderung eher auffallen. Angst vor fiesen Sprüchen und komischen Blicken. Sich schuldig fühlen, weil sie das manchmal einfach alles scheiße finden. Ein undefinierbares Gefühl deshalb, weil sie gesund sind. Einsamkeit, wenn sich mal wieder alles nur um das Geschwister dreht. Enttäuschung, wenn der Ausflug erneut nicht wie geplant stattfinden kann oder abgebrochen werden muss. Traurigkeit, weil es ist, wie es ist.
Werden die Kinder größer, kommen weitere Sorgen hinzu: wer kümmert sich, wenn meine Eltern nicht mehr können? Was passiert, wenn Unterstützung fehlt? Muss ich die Verantwortung tragen?
Diese und viele andere Gefühle können es sein, die Geschwisterkinder begleiten. Und ausheulen bei den Eltern geht nicht wirklich, denn die haben ja schon genug mit dem
Bruder oder der Schwester zu tun. Und selbst wenn, sie kennen diese Gefühle in den meisten Fällen ja nicht.
Was weiß ich schon davon, Geschwister eines erkrankten Kindes zu sein?! Okay, ich weiß theoretisch viel, weil ich es mir angelesen und viel Zeit mit Geschwisterkindern verbracht habe. Aber praktisch? Nichts.
Umso wichtiger ist es, diese Kinder zusammenzubringen. Sie zu vernetzen, damit sie wissen, dass sie nicht alleine sind. Sie spüren zu lassen, dass es andere in ähnlichen Situationen gibt, tut ihnen unendlich gut. Ihnen dazu ein offenes Ohr zu schenken. Einfach mal kein “jetzt nicht, später”, sondern ein “klar erzähl’, ich hab’ Zeit für dich”. Die Gemeinschaft in lockerer Atmosphäre zu genießen, sich um sich selbst zu kümmern und Möglichkeiten zu erfahren die gut tun, wenn’s mal nicht so rund läuft. Und auch die Gelegenheit, sich auszukotzen.

Das alles bietet die GeschwisterZeit, die vor zwei Jahren ins Leben gerufen wurde und bei den Kids und Teens sehr gefragt ist. Weil es einfach heilsam ist, sich mit dem Geschwistersein nicht alleine zu fühlen. Weil es wichtig ist zu wissen, was Geschwister sich selbst Gutes tun können.
Am 10. April ist Tag der Geschwister. Dieser wird am Abend mit den Teens gefeiert und am Wochenende folgt eine Erlebniswanderung mit dem Hund Kelwitt gemeinsam mit den GeschwisterKids.
Habt ihr auch Interesse an unseren Geschwisterangeboten? Informiert euch gerne hier über Teilnahmeangebote oder Fördermöglichkeiten.