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Mutter Anke mit lebensverkürzend erkrankter Fine im Arm.

49 ist die Zahl der Fehltage, die auf Fines Zeugnis im zweiten Schuljahr verzeichnet sind. Mein erster Gedanke dazu war: So viele?! Ich dachte es seien weniger Tage gewesen, fand Fine in diesem Jahr – wenn auch oft krampfbereit – so doch auch sehr stabil. Okay, wir haben das Schuljahr auf der Intensivstation im Krankenhaus begonnen, aber danach war sie doch relativ gesund. Einen weiteren Krankenhausaufenthalt im November haben wir verweigert und es dann auch zu Hause gut hinbekommen.  

Alex‘ Gedanke war ein anderer: so wenige Tage?! Ihm kam es vor, als seien es mehr gewesen. Okay, dazu kommen wahrscheinlich auch noch vorzeitige Abholungen, weil Schule an dem Tag nicht ganz die richtige Entscheidung war oder Fine lieber von mir abgeholt werden wollte, als mit dem Bus zu fahren. 

Krankheit, Schule und der Alltag dazwischen

49. Fast ein Tag pro Woche. Zieht man die Ferien, Feiertage und bewegliche Ferientage ab, ist es im Durchschnitt mehr als ein Tag pro Woche. Natürlich gibt es auch Wochen, in denen Fine ganz zu Hause ist und solche, in denen sie jeden Tag von morgens bis nachmittags in der Schule ist. Und es gibt diese Wochen, an dem jeden Tag irgend etwas nicht so richtig richtig ist. Nicht wirklich greifbar, aber schon spürbar. Je nach Gefühl geht Fine dann trotzdem zur Schule und wir sind den ganzen Tag in Habachtstellung. Und ratet mal, woran wir denken, wenn dann ein Tag kommt, an dem nichts ist? Genau, wir sind tiefenentspannt und verschwenden keinen Gedanken daran, ob noch jemand anruft, um zu sagen, dass etwas bei Fine nicht in Ordnung ist.  

Nicht. 

Warum wir jeden Tag neu verarbeiten müssen

Umso verwunderlicher, dass selbst Menschen, die uns relativ nahestehen immer mal wieder verwundert darüber sind, dass wir psychisch belastet sind und „das mit Fine“ immer noch nicht verarbeitet haben. Schließlich ist sie schon über acht Jahre alt und seit über sieben Jahren ein Palliativkind. So nach dem Motto, wir hätten uns ja wirklich langsam mal daran gewöhnen können. Wirklich krass, dass wir immer noch damit zu tun haben.  

Aber hey, genau das haben wir. Wir haben damit zu tun.  An guten und an schlechten Tagen sind wir belastet. Denn, auch wenn wir akzeptiert haben, wie es ist, ist es trotzdem traurig. Und auch wenn an einem Tag alles so weit gut ist, gibt es eine Grundskepsis, die bewirkt, dass wir uns dennoch Gedanken machen. Und auch an guten Tagen ist Fine trotzdem schwer, rein körperlich. Und auch an guten Tagen dürfen wir viele ihrer Bedürfnisse raten, weil sie nicht klar mit uns kommunizieren kann. Auch an guten Tagen gibt es kein „mal schnell“, weil alles viel Planung und Energie bedarf.  

Ein Alltag voller Liebe, Planung und Belastung

Es gibt Psycholog*innen die sagen, dass Familien mit zu pflegenden Kindern sich dauerhaft in einem Trauma befinden. Den Gedanken kann ich gut nachvollziehen, auch wenn ich das als aktive Schönrednerin unserer Situation natürlich nur sehr ungern höre.    

Von daher, liebe Verständnislose, darf ich euch sagen: wir haben schon viel verarbeitet. Wir verarbeiten sogar jeden Tag wieder und wieder. Doch leider werden wir wohl nie damit fertig sein. Denn an jedem Tag kommen neue Ereignisse, Situationen, Gedanken, Diagnosen, bisher verdrängte und nicht verdrängte Wahrheiten hinzu, die es weiter zu verarbeiten gilt.  

Das Schöne daran? Wir bleiben nicht stehen, verharren nicht. Es geht weiter, immer weiter.  

Und wir erleben wundervolle Momente dabei.  

Mindestens 49 im Jahr. 

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Ein Kommentar

  1. Immer wieder so toll zu lesen…von einer Familie ????,die allen Menschen zeigt,wie das Leben mit einem besonderen Kind wie Fine aussieht…alle Höhen und Tiefen annimmt und meistert……❣️